Ausgangslage und Diskussionsstand
Im Zusammenhang mit dem sog. dritten Entlastungspaket, mit welchem die zu erwartenden Preissteigerungen nicht zuletzt für Gas auch für Unternehmen abgefedert werden sollen, trifft die Bundesregierung auch Maßnahmen zur Verhinderung einer drohenden „Insolvenzwelle“. Radikale Eingriffe, insbesondere eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, sind jedoch derzeit nicht geplant, wie sich der weiteren Berichterstattung im Handelsblatt entnehmen lässt ("Unternehmenspleiten: Regierung plant keine radikalen Eingriffe", Quelle: https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/energiekrise-unternehmenspleiten-regierung-plant-keine-radikalen-eingriffe/28677628.html, zuletzt abgerufen am 16.09.2022, 10:55 Uhr).
Wie der Presse zu entnehmen ist, soll nach Auskunft des Bundesjustizministeriums „eine zeitlich begrenzte Erleichterung bei der Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung eingeführt werden". Profitieren sollen von dieser temporären Regelung diejenigen Unternehmen, „die im Kern gesund und auch langfristig unter den geänderten Rahmenbedingungen überlebensfähig sind“. Diesen Unternehmen soll mit dieser Regelung Zeit verschafft werden, um ihre Geschäftsmodelle anzupassen. Dagegen sollen Unternehmen, die zahlungsunfähig sind, von dieser Regelung ausgenommen werden.
Welche Maßnahmen sind zu erwarten?
Die infolge der Verlautbarungen aus der Politik zunächst von Beobachtern erwartete Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, entsprechend der Aussetzung in Zeiten von COVID-19, wird wohl nicht erfolgen. Stattdessen soll der Überschuldungstatbestand des § 19 Insolvenzordnung (InsO) angepasst werden. Konkret ist vorgesehen, den Zeitraum, der bei der Prognose über eine Fortführung des Betriebes zugrunde zu legen ist, von derzeit zwölf Monaten auf vier Monate zu verkürzen. (Quelle: Handelsblatt, Online-Beitrag vom 07.09.2022, 17:09 Uhr, https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/insolvenzwelle-bundesregierung-wappnet-sich-gegen-firmenpleiten/28665614.html, zuletzt abgerufen am 08.09.2022, 15:03 Uhr).
Wenn eine „Insolvenzwelle“ durch eine Anpassung des Insolvenzrechts dennoch verlässlich verhindert werden soll, dann wird eine Verkürzung des Prognosezeitraums bei dem Überschuldungstatbestand des § 19 InsO auf vier Monate womöglich nicht ausreichen. Schließlich entfällt die Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrags nur dann, wenn trotz rechnerischer Überschuldung die Fortführung des Unternehmens in den nächsten vier Monaten nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. Dies setzt voraus, dass die Finanzplanung des Unternehmens für den Prognosezeitraum ergibt, dass die Zahlungsverpflichtungen erfüllt und die für die Fortführung notwendigen Investitionen getätigt werden können. Bei steigenden Kosten, insbesondere für Gas (und u. U. auch Strom), erhöhen sich in erster Linie die laufenden Zahlungsverpflichtungen, was in der Finanzplanung und damit bei der Fortführungsprognose zu berücksichtigen ist. Um eine Fortführung als überwiegend wahrscheinlich annehmen zu können, muss also sichergestellt sein, dass die in dem Prognosezeitraum von vier Monaten verfügbare Liquidität (d. h. insbesondere die laufenden Einnahmen und die Liquiditätsreserven) ausreicht, um auch die gestiegenen Zahlungsverpflichtungen zu bedienen. Angesichts der Unsicherheiten in Bezug auf die Entwicklung der Preise für Gas etc. und auch der wirtschaftlichen Nachwehen der Corona-Pandemie dürften Liquiditätsreserven vielfach aufgebraucht sein und eine verlässliche Finanzplanung jedenfalls für Unternehmen in einer ohnehin angespannten Finanzlage auch für einen Zeitraum von vier Monaten schwierig sein.
Die zunächst ebenfalls in der Diskussion der Maßnahmen aufgegriffene Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, vergleichbar mit den Maßnahmen zu Beginn der Corona-Pandemie, ist im Rahmen der Energiekrise wohl nicht geplant, da - anders als in der COVID-19-Pandemie - nicht erneut in den Wettbewerb eingegriffen werden soll. Dennoch wird aus Fachkreisen nach wie vor dieser Vorschlag als zwingend erforderlich angesehen. Dies hat weiterhin zur Folge, dass Geschäftsleiter von Unternehmen bei dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung Insolvenzantrag stellen und die dann eingreifenden Zahlungsverbote beachten müssen.
Darüber hinaus sind weitere Änderungen im Bereich der Eigenverwaltung geplant. Diesbezüglich ist derzeit in der Insolvenzordnung vorgesehen, dass der Schuldner mit dem Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung eine Eigenverwaltungsplanung beifügen muss, die auch einen Finanzplan beinhalten muss, der den Zeitraum von 6 Monaten abdeckt (§ 270a Abs. 1 InsO). Ausgehend von vorstehender Berichterstattung wird als Anpassungsmaßnahme auch über eine Herabsetzung dieses Planungszeitraums auf ein oder zwei Monate diskutiert. Damit würde den Schwierigkeiten bei der Planung und den gestiegenen Prognoseunsicherheiten, u. a. aufgrund der Energiekostenkrise, Rechnung getragen werden.
Die Entwicklung der derzeit geplanten Änderungen im Insolvenzrecht bleibt mithin abzuwarten.
Welche Risiken bestehen für Unternehmen und Geschäftsleiter?
Auch wenn die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung erleichtert werden wird, beseitigt dies nicht die mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten einhergehenden Risiken für Unternehmen und deren Geschäftsleiter. Hierzu zählen insbesondere die nachfolgend skizzierten Risiken:
- Ist die Finanzplanung, die der Fortführungsprognose zugrunde gelegt wird, zu optimistisch und stellt sich diese im Nachhinein als unzureichend oder falsch dar, dann hat dies zur Folge, dass möglicherweise tatsächlich eine Insolvenzantragspflicht bestanden hatte. Dann steht neben zivilrechtlichen Haftungsansprüchen gegen den Geschäftsleiter (bspw. für Zahlungen aus dem Vermögen des Unternehmens nach Eintritt der Überschuldung) auch die Frage einer Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung im Raum.
- Die Finanzplanung ist laufend zu überwachen und ggfs. zu korrigieren. Unterbleibt dies und fällt während des ursprünglichen Prognosezeitraums die positive Fortführungsprognose weg und tritt u. U. sogar eine Zahlungsunfähigkeit hinzu, dann entsteht die Insolvenzantragspflicht (erneut). Auch in diesem Fall drohen eine zivilrechtliche Haftung und eine Strafbarkeit für den Geschäftsleiter.
- Die fälligen Zahlungsverpflichtungen sind sowohl bei einer Erleichterung der Insolvenzantragspflicht als auch bei einer Aussetzung weiter bedienen.
- Werden bspw. die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung nicht oder nicht vollständig abgeführt, dann macht sich der Geschäftsleiter insoweit regelmäßig strafbar.
- Werden fällige Steuerverbindlichkeiten des Unternehmens nicht beglichen, dann besteht die Möglichkeit, dass das Finanzamt sog. Haftungsbescheide erlässt, mit denen der Geschäftsleiter persönlich für die Steuerverbindlichkeiten des Unternehmens „zur Kasse gebeten“ wird.
- Werden neue Verbindlichkeiten in Kenntnis der angespannten Liquiditätssituation eingegangen, kann dies im Falle des Zahlungsausfalls eine Strafbarkeit wegen Eingehungsbetrugs begründen.
Welche Sanierungsmöglichkeiten gibt es?
Allein die Erleichterung der Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung wird nicht dafür sorgen, dass bestehende wirtschaftliche Schwierigkeiten oder gar eine insolvenzrechtliche Überschuldung tatsächlich beseitigt werden. Wie das Bundesjustizministerium angibt, sollen die geplanten Maßnahmen den Unternehmen die nötige Zeit dafür verschaffen, „ihre Geschäftsmodelle anzupassen“. Dort, wo eine Anpassung der Geschäftsmodelle allein nicht ausreicht, müssen zusätzliche Maßnahmen zur Beseitigung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ergriffen werden.
Dennoch ist proaktives und v.a. zeitnahes Handeln der betroffenen Unternehmen bei absehbaren Insolvenzrisiken infolge der Energiekostenkrise anzuraten. Es sollten möglichst frühzeitig die rechtlichen Möglichkeiten, auch im Hinblick auf Vertragsanpassungen sowie Sanierungsmöglichkeiten, geprüft werden. Nur auf diese Weise kann rechtzeitig beispielsweise der Weg über ein Eigenverwaltungsverfahren beschritten werden.
Gleiches gilt für den Fall, dass die Energiekostenkrise als (unfreiwilliger) Anlass dafür genommen wird, den Betrieb des Unternehmens einzustellen oder zu übertragen. Werden frühzeitig die Weichen richtig gestellt, kann dies ohne die Notwendigkeit eines Insolvenzverfahrens durchgeführt werden.
Soll eine Insolvenz nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft trotz der wirtschaftlichen Gesamtumstände vermieden werden, dann muss sichergestellt sein, dass sowohl der Eintritt einer Überschuldung als auch einer Zahlungsunfähigkeit zumindest kurz- und bestenfalls auch mittelfristig ausgeschlossen ist. Hierzu bieten sich verschiedenste Maßnahmen – sowohl außerhalb als auch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens (bspw. auch im Wege der Eigenverwaltung und/oder über einen Insolvenzplan) – an, deren Eignung im Einzelfall ebenso zu prüfen ist, wie die generelle Frage, ob eine Sanierung außerhalb oder innerhalb eines Insolvenzverfahrens erfolgen kann bzw. muss. Grundvoraussetzung ist jedenfalls, dass das Geschäftsmodell auch unter den geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen markt- und überlebensfähig ist.
TIPP: Unabhängig davon, welchen Weg Sie bestreiten wollen, ist eine fachkundige Beratung empfehlenswert. Wir stehen Ihnen gerne mit unserem Team unterstützend zur Seite.
Für ergänzende Erläuterungen steht Ihnen Herr Rechtsanwalt Dr. Michael Bach und Herr Rechtsanwalt Patrick Steinhausen, LL.M., gerne zur Verfügung.