Leitsatz
- Zur Auslegung eines privatschriftlichen Testaments, das der Erblasser mehr als 10 Jahre vor seinem Tod errichtet hat und das als Erben denjenigen bestimmt, der den Erblasser "bis zu meinem Tod pflegt und betreut" und gleichzeitig eine Person nennt, die dies gegenwärtig tut.
- Ein Testament ist nichtig, wenn der Wortlaut der Verfügung so unbestimmt ist, dass die Auslegung ergebnislos bleiben muss.
- Auf einen "Mindestbedeutungsgehalt" der vom Erblasser verwendeten Begriffe kann nur dann abgestellt werden, wenn feststeht, dass der Erblasser diese in eben jenem Sinne verwendet hat.
Sachverhalt
die kinderlose und verwitwete Erblasserin ist im Jahre 2021 verstorben. Sie errichtete am 01.04.2011 ein handschriftliches Testament folgenden Inhalts:
"Mein letzter Wille!
Die Person, die mich bis zu meinem Tode pflegt und betreut, soll mein gesamtes Vermögen bekommen! Zur Zeit ist es: Frau…. (= Beteiligte zu 1, im Folgenden als B 1 bezeichnet), wohnhaft….. Ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte.
Unterschrift"
Das Nachlassgericht erließ im Jahre 2022 einen Beschluss, in dem es die Erteilung eines Erbscheins zugunsten der B 1 ankündigte und die sofortige Wirksamkeit aussetzte. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde.
Aus der vom Senat beigezogenen Akte des über die Erblasserin geführten Betreuungsverfahrens geht hervor, dass im Jahre 2014 auf Wunsch der Erblasserin nicht nur B 1, sondern auch Frau D.P. als Betreuerin für die Erblasserin bestellt wurde. Im Jahre 2017 wurde eine weitere Betreuerin bestellt, die Betreuerin D. P. wurde auf eigenen Wunsch entlassen.
Entscheidungsgründe des OLG München
Die Beschwerde ist zulässig und im Ergebnis auch erfolgreich.
Der Senat teilt zwar die Ansicht des Nachlassgerichts, dass keine Zweifel an der Urheberschaft der Erblasserin hinsichtlich des Testaments vom 01.04.2011 bestehen. Allerdings kann B1 aus dem Testament keine Rechte herleiten. Denn dieses Testament enthält keine Erbeinsetzung zu ihren Gunsten. Zwar wird B 1 darin namentlich genannt; eine Erbeinsetzung ist damit aber nicht verbunden, denn die Erblasserin hat als Erbin gerade keine bestimmte Person eingesetzt. Vielmehr hat sie lediglich Voraussetzungen festgelegt, die ein Erbe erfüllen muss, und festgehalten, dass B1 diese Voraussetzungen derzeit erfüllt. Welche Voraussetzungen das genau sind, lässt sich jedoch nicht feststellen, sodass sich auch nicht feststellen lässt, welche Person diese Voraussetzungen erfüllt.
B1 wurde durch ihre namentliche Erwähnung im Testament nicht als Erbin eingesetzt. Die Namensnennung der B1 erfolgte in diesem Zusammenhang nur beispielhaft. Als Rechtsnachfolgerin sollte sie jedenfalls nur dann bestimmt sein, wenn sie die von der Erblasserin genannten Voraussetzungen bzw. Bedingungen erfüllt.
Für die Entscheidung, ob eine Person als Erbe eingesetzt ist oder nicht, kommt es wesentlich darauf an, wer nach dem Willen des Erblassers den Nachlass zu regeln und die Nachlassschulden zu tilgen hat, sowie darauf, ob der Bedachte unmittelbar Rechte am Nachlass erwerben soll.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich eine Erbeinsetzung der B1 nicht feststellen. Bereits die Verwendung des Wortes "derzeit" spricht dagegen, dass die Erblasserin mit der namentlichen Nennung der B1 ihren Rechtsnachfolger in wirtschaftlicher Hinsicht endgültig benennen wollte.
Die Erblasserin hat in ihrem Testament keinen Rechtsnachfolger benannt. Nach den von ihr aufgestellten Kriterien lässt sich ein solcher auch nicht hinreichend sicher ermitteln.
Schon in zeitlicher Hinsicht lässt sich nicht feststellen, was die Erblasserin mit der Formulierung "bis zu meinem Tod" zum Ausdruck bringen wollte. Fraglich ist bereits, ob sie sich von der Vorstellung leiten ließ, dass die Person, die sie "pflegt und betreut", dies ab Errichtung des Testaments zu tun hat. Denkbar ist aber auch, dass auch ein späteres Übernehmen von Pflege und Betreuung ausreichend sein sollte. Bei einer Auslegung in diese Richtung bliebe aber offen, welcher Zeitpunkt maßgebend sein sollte.
Ebenso offen und im Wege der Auslegung nicht sicher feststellbar ist, ob die Person, die "pflegt und betreut", dies ununterbrochen (unabhängig vom jeweiligen Beginn) tun muss.
Letztlich lässt sich auch nicht klären, ob das zeitliche Element von Pflege und Betreuung nach der Vorstellung der Erblasserin tatsächlich bis "in" den Tod im Sinne einer Sterbebegleitung erfolgen muss.
Darüber hinaus lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit im Wege der Testamentsauslegung ermitteln, was die Erblasserin inhaltlich unter "pflegt und betreut" verstanden hat. Offen bleibt bereits, ob die Erblasserin die Wörter "pflegen und betreuen" synonym oder kumulativ gebraucht hat. Beides ist denkbar. Hinzu kommt, dass offen bleibt, an welche Art von "pflegen und betreuen" die Erblasserin gedacht hat. Denkbar ist, dass sie gerade nicht die professionelle Betreuung gemeint hat, denn sie lebte im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments bereits in einem Pflegeheim und benannte gleichwohl B1, die aber nicht für professionelle Pflege und Betreuung zur Verfügung stand.
Da sich aufgrund der vorstehenden Erwägungen im Rahmen der Auslegung nicht feststellen lässt, in welchem zeitlichen Rahmen Pflege und Betreuung zu erbringen waren und was darunter zu verstehen ist, lässt sich auch in einem zweiten Schritt nicht feststellen, auf welche Person diese Kriterien zutreffen.
Weitere Ermittlungsansätze zur Ermittlung des wahren Erblasserwillens sind nicht vorhanden.
Demzufolge ist die Beschwerde erfolgreich. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und der Erbscheinsantrag der B1 zurückzuweisen.
Für Fragen auf dem Gebiet des Erbrechts steht Ihnen Herr Rechtsanwalt Justizrat Dr. Manfred Birkenheier, Fachanwalt für Erbrecht, gerne zur Verfügung.