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Zu den Voraussetzungen der Geschäftsunfähigkeit, der Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht und der Anordnung einer gerichtlichen Betreuung

|   Erbrecht

(BGH, Beschluss vom 29.07.2020 – AZ: XII ZB 106/20 – juris -)

Leitsatz

 

  1. Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es bei der wirksamen Bevollmächtigung.
  2. Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Dabei ist die Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB kein medizinischer Befund, sondern ein Rechtsbegriff, dessen Voraussetzungen das Gericht unter kritischer Würdigung des Sachverständigengutachtens festzustellen hat.

 

Sachverhalt

Der Betroffene leidet u. a. an einer kognitiven Störung im Rahmen einer vaskulären Enzephalopathie bei ausgedehnter cerebralerMikroangiopathie. Am 30. September 2015 erteilte er der Beteiligten zu 3) eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht, die er am 15. Januar 2018 widerrief. Am 9. März 2018 erteilte der Betroffene seinem Sohn, dem Beteiligten zu 2), eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht.

 

Auf Anregung der Beteiligten zu 3) hat das Amtsgericht im März 2018 ein Betreuungsverfahren eingeleitet. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung und nach der persönlichen Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 1) zum Berufsbetreuer mit dem Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten sowie Widerruf der den Kindern des Betroffenen erteilten Vollmachten bestellt. Zudem hat es einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge angeordnet.

 

Gegen diese Entscheidung haben der Betroffene mit dem Ziel einer Aufhebung der Betreuung und die Beteiligte zu 3) mit dem Ziel, selbst zur Betreuerin bestellt zu werden, Beschwerde eingelegt.

 

Das Landgericht hat ein ergänzendes Gutachten der Sachverständigen eingeholt und die Notare, die die Vollmachten beurkundet haben, sowie die Hausärztin des Betroffenen als Zeugen vernommen. Es hat daraufhin die Entscheidung des Amtsgerichts ersatzlos aufgehoben. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 3) mit der Rechtsbeschwerde.

 

Entscheidungsgründe des BGH

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat seine Entscheidung zutreffend wie folgt begründet:

 

Die Einrichtung einer Betreuung sei nicht erforderlich, weil der Betroffene dem Beteiligten zu 2) wirksam eine notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht erteilt habe, die nicht widerrufen worden sei. Es könne nicht ausreichend sicher festgestellt werden, dass der Betroffene bei der Erteilung dieser Vollmacht geschäftsunfähig gewesen sei.

 

Zwar gehe die Sachverständige davon aus, dass der Betroffene zum maßgeblichen Zeitpunkt im März 2018 keine wirksamen Vollmachten habe erteilen können, weil er aufgrund seiner kognitiven Einschränkungen nicht in der Lage gewesen sei, die Folgen einer Generalvollmacht abzuschätzen. Die Ausführungen der Sachverständigen könnten jedoch nicht überzeugen.

 

Maßgeblich für die von der Einschätzung der Sachverständigen abweichende Beurteilung sei vor allem, dass die Sachverständige nach der Komplexität des Geschäfts differenziere, indem sie eine Geschäftsfähigkeit des Betroffenen für Geschäfte mit einem überschaubaren finanziellen Inhalt bejahe, jedoch die Geschäftsfähigkeit für das Erteilen einer Generalvollmacht in einer unübersichtlich geregelten finanziellen Situation verneine. Eine solche partielle Geschäftsfähigkeit, die nach dem Schwierigkeitsgrad des Geschäfts differenziere, sei für den Begriff der Geschäftsfähigkeit nach § 104 Nr. 2 BGB nicht anerkannt. Zudem sei die Begründung der Sachverständigen nicht hinreichend konsistent.

 

Die Vermutung der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung im März 2018 lasse sich auch nicht durch die Aussagen der vernommenen Notare widerlegen, aus deren Aussagen sich keine Anhaltspunkte für eine fehlende Geschäftsfähigkeit des Betroffenen ergeben. Dasselbe gelte für die Aussage der als Zeugin vernommenen Hausärztin des Betroffenen.

 

Von der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens sei abzusehen, weil es ausgeschlossen erscheine, dass ein neu zu bestellender Sachverständiger in der Lage sein könnte, angesichts des zwischenzeitlichen Zeitablaufs gesicherte Aussagen zu dem Geisteszustand des Betroffenen zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung im März 2018 zu treffen.

Da die Einrichtung einer Betreuung damit nicht erforderlich sei, könne die Beteiligte zu 3) auch nicht zur Betreuerin bestellt werden.

Dies hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde stand. Das Landgericht ist in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die von dem Betroffenen zugunsten des Beteiligten zu 2) erteilte General- und Vorsorgevollmacht vom 09.03.2018 wirksam ist, weil es nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen konnte, dass der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig war.

An der Erforderlichkeit der Bestellung eines Betreuers fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Erteilung der Vollmacht unwirksam war, weil der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig war, steht die erteilte Vollmacht einer Betreuerbestellung nur dann nicht entgegen, wenn die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht positiv festgestellt werden kann. Dies war hier nicht der Fall.

Das Landgericht hat seine Zweifel am Bestehen von Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Erteilung der General- und Vorsorgevollmacht maßgeblich damit begründet, dass die Sachverständige bei der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen nach der Komplexität des Geschäfts differenziert hat, indem sie eine Geschäftsfähigkeit des Betroffenen für Geschäfte mit einem überschaubaren finanziellen Inhalt bejahte, jedoch die Geschäftsfähigkeit für das Erteilen einer Generalvollmacht in einer unübersichtlich geregelten finanziellen Situation verneinte.

Eine solche nach dem Schwierigkeitsgrad des vorgenommenen Geschäfts differenzierende Geschäftsfähigkeit ist rechtlich nicht anerkannt. Für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit sind nicht primär die Fähigkeiten des Verstandes des Betroffenen ausschlaggebend, sondern die Freiheit des Willensentschlusses. Es kommt darauf an, ob eine freie Entscheidung aufgrund einer Abwägung des Für und Wider der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist oder ob von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil der Betroffene fremden Willenseinflüssen unterliegt oder die Willensbildung durch unkontrollierte Triebe und Vorstellungen ausgelöst wird.

Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine auf besonders schwierige Geschäfte beschränkte (sogenannte relative) Geschäftsunfähigkeit gibt.

Zwar kann eine sonst bestehende Geschäftsfähigkeit für einen gegenständlich beschränkten Kreis von Angelegenheiten ausgeschlossen sein (sogenannte partielle Geschäftsunfähigkeit). Das ist der Fall, wenn es der betreffenden Person infolge einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit nicht möglich ist, in diesem Lebensbereich ihren Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Störung zu bilden oder nach einer zutreffend gewonnenen Einsicht zu handeln, während das für andere Lebensbereiche nicht zutrifft. Deshalb kann die Wirksamkeit einer Bevollmächtigung zu bejahen sein, wenn keine Zweifel bestehen, dass der Vollmachtgeber das Wesen seiner Erklärung begriffen hat und diese in Ausübung freier Willensentschließung abgibt, sollte auch seine Geschäftsfähigkeit im allgemeinen Rechtsverkehr nicht mehr gesichert sein.

Diese Form der partiellen Geschäftsfähigkeit hat die Sachverständige ihrer Einschätzung der Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung jedoch nicht zugrunde gelegt. Wie das Landgericht zu Recht ausführt, hat die Sachverständige damit ihrer Einschätzung ein Verständnis des Begriffs der Geschäftsunfähigkeit zugrunde gelegt, das rechtlich unzutreffend ist.

 

Für Fragen auf dem Gebiet des Erbrechts steht Ihnen Herr Rechtsanwalt JR Dr. Manfred Birkenheier, Fachanwalt für Erbrecht, gerne zur Verfügung.

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