Die verwitwete Erblasserin verstarb im April 2015. Aus ihrer Ehe mit dem vorverstorbenen Ehemann waren zwei Töchter hervorgegangen. Am 23.02.2014 errichtete sie ein privatschriftliches Testament, in dem sie ihre ältere Tochter als Alleinerbin einsetzte und bestimmte, dass die jüngere Tochter nur den Pflichtteil erhalten solle.
Zwischen den Beteiligten war streitig, ob die Erblasserin dieses Testament später widerrufen hat.
Das Original des Testaments wurde einen Tag nach dem Tod der Erblasserin von der älteren Tochter beim Nachlassgericht abgeliefert. Sie stellte gleichzeitig Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, der sie als alleinige Erbin der Mutter ausweisen sollte.
Im Rahmen des Erbscheinverfahrens legte die jüngere Tochter dem Nachlassgericht ein Schriftstück vor, welches offenbar eine Farbkopie des Original-Testaments war und in vier Teile zerrissen und mit Tesafilm wieder zusammengesetzt worden war. Hierzu trug sie vor, die Erblasserin habe am 27.05.2014 die Annullierung des Testaments vom 23.02.2014 erklärt. Die Ungültigkeit des Testaments sei von der Erblasserin und vier Zeugen, nämlich der jüngeren Tochter und ihrem Ehemann, der älteren Tochter und deren Tochter durch eigenhändige Unterzeichnung des durch den Ehemann der jüngeren Tochter angebrachten handschriftlichen Vermerks bestätigt worden, der lautete: "Dieses Schreiben wird für ungültig erklärt." Außerdem habe die Erblasserin die drei auf dem Schriftstück vorhandenen Durchstreichungen selbst vorgenommen.
Dem hielt die ältere Tochter folgende Darstellung entgegen: Bei einem Besuch ihrer Schwester zusammen mit deren Ehemann habe die Erblasserin ihr Testament erwähnt. Der Ehemann der Schwester habe darauf bestanden, ihm dieses Testament zu zeigen; nach der Lektüre des Testaments habe er erbost reagiert und mit einem Wortschwall der Entrüstung über die angebliche Ungerechtigkeit die Gleichbehandlung seiner Ehefrau, der jüngeren Tochter, verlangt. Er habe von der älteren Tochter der Erblasserin und deren Tochter deren Unterschriften verlangt als Beweis dafür, dass sie mit der Gleichbehandlung einverstanden seien. Sie selbst und ihre Tochter seien hierüber sehr überrascht gewesen und seien um des Friedens willen sowie in dem Bewusstsein, dass sie ja im Besitz des Original-Testaments waren, bedauerlicherweise der Aufforderung des Schwagers nachgekommen. Das Original des Testaments hatte die ältere Tochter zum Zeitpunkt des Gesprächs vom 27.05.2014 bereits in ihrer Wohnung in Besitz.
Dem ist die jüngere Tochter entgegengetreten mit dem Argument, die Erblasserin habe die Annullierung des Testaments und dessen Ungültigkeit auf der Farbkopie des Testaments eigenhändig durch Unterschrift bestätigt.
Das Nachlassgericht hat durch Beschluss festgestellt, dass die für den Erlass des von der älteren Tochter beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen festgestellt seien. Hiergegen hat die jüngere Tochter Beschwerde eingelegt.
Diese Beschwerde hat das Oberlandesgericht Stuttgart als unbegründet zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, dass sich die Erbfolge nach dem wirksam errichteten Testament der Erblasserin vom 23.02.2014 richtet, weil ein wirksamer Widerruf dieses Testaments nicht festgestellt werden könne.
Grundsätzlich kann der Erblasser ein Testament jederzeit und ohne besonderen Grund widerrufen (§ 2253 BGB). Dies kann beispielsweise durch ein weiteres förmliches Testament geschehen, in dem der Widerruf des früheren Testaments ausdrücklich erklärt wird, oder dadurch, dass der Erblasser in der Absicht, das Testament aufzuheben, die Testamentsurkunde vernichtet oder an ihr Veränderungen vornimmt. Allerdings muss der Wille, das Testament aufzuheben, erkennbar sein.
Im konkreten Fall sei jedoch ein wirksamer Widerruf des Testaments vom 23.02.2014 nicht festzustellen. Es könne offenbleiben, wie das Gespräch am 27.05.2014 genau abgelaufen sei und wer welche Handlung an der damals vorliegenden Farbkopie des Testaments vorgenommen hat.
Unstreitig sei jedenfalls, dass der handschriftliche Zusatz "Dieses Schreiben wird für ungültig erklärt. 27.05.2014" anders als die nachfolgende Unterschrift nicht von der Erblasserin stammte, sondern vom Ehemann der jüngeren Tochter. Unstreitig war im konkreten Fall außerdem, dass nicht die Erblasserin selbst, sondern der Ehemann der jüngeren Tochter die Kopie des Testaments zerrissen und später auch wieder zusammen geklebt hat. Streitig war nur, wer die Durchstreichungen auf dem Testament vorgenommen hatte. Dass dies von der Erblasserin vorgenommen wurde, konnte nicht bewiesen werden. Nur wenn dies bewiesen worden wäre, hätte dies überhaupt für die Annahme eines wirksamen Widerrufs des Testaments ausreichen können.
Im konkreten Fall bestand im Übrigen noch die Besonderheit, dass mehrere Exemplare des Testaments vom 23.02.2014 existierten, von denen nur die Kopie zerrissen und durchgestrichen worden war. Wenn aber der Erblasser von mehreren Exemplaren eines Testaments nur eines vernichtet oder verändert, greift die gesetzliche Vermutung des § 2255 Satz 2 BGB bereits nicht ein, in dem es heißt, es werde vermutet, dass der Erblasser die Aufhebung des Testaments beabsichtigt habe, wenn er die Testamentsurkunde vernichtet oder verändert. Liegen mehrere Exemplare der Urkunde vor, so ist ein Widerruf nur dann anzunehmen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls und freier Beweiswürdigung kein Zweifel über den Aufhebungswillen des Erblassers besteht. Gegen einen entsprechenden Willen der Erblasserin sprach deshalb auch, dass es, wenn die Erblasserin das Testament hätte widerrufen wollen, nahegelegen hätte, das Originalexemplar des Testaments zurückzufordern und auch dieses durch geeignete Handlungen, etwa Vernichtung oder Durchstreichen, zu widerrufen. Da die Erblasserin dies jedoch gerade nicht getan habe, könne ein wirksamer Widerruf des Testaments nicht festgestellt werden.