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Zur Ausschlagung des Erbes und Auslegung eines Testaments bei fehlender Ersatzerbenregelung

|   Erbrecht

(OLG Düsseldorf, Beschl. vom 17.07.2023 –AZ: I-3 Wx 91/23 – ErbR 2023, 844 – 847 -)

Leitsatz

  1. Die Einreichung der ersten Ausfertigung der Ausschlagungserklärung genügt den formellen Anforderungen des § 1945 Abs. 1 Halbsatz 2 BGB. Denn gemäß § 47 BeurkG vertritt die Ausfertigung der Niederschrift die Urschrift im Rechtsverkehr.
  2. § 1944 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach die Ausschlagungsfrist bei gewillkürter Erbfolge nicht vor Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen durch das Nachlassgericht beginnt, ist zwingend. Dies gilt auch, wenn feststeht, dass der Bedachte von der letztwilligen Verfügung früher Kenntnis erlangt hat.
  3. Enthält ein gemeinschaftliches Ehegattentestament ("Berliner Testament") keine Ersatzerbenregelung und schlägt der testamentarische Alleinerbe die Erbschaft aus, führt die ergänzende Auslegung regelmäßig dazu, dass mit der bindenden Schlusserbeneinsetzung der Kinder zugleich die Einsetzung der Kinder als Ersatzerben für den ersten Erbfall gewollt ist.

Sachverhalt

Die Beteiligte zu 1) ist die einzige Tochter der Erblasserin. Diese war bis zu ihrem Tod mit dem Beteiligten zu 3) verheiratet, für den es die zweite Ehe war. Die Beteiligte zu 2) ist die einzige Tochter des Beteiligten zu 3). Aus der Ehe der Erblasserin mit dem Beteiligten zu 3) gingen keine gemeinsamen Kinder hervor.

Die Eheleute errichteten am 03.12.2007 ein gemeinschaftliches eigenhändiges Testament. Darin setzten sie sich gegenseitig zu alleinigen Erben ein. Nach dem Tod des Letztversterbenden sollten ihre Töchter, die Beteiligten zu 1) und zu 2), Erben sein.

Unter dem 01.02.2023 reichte der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) und zu 2) beim Nachlassgericht die erste Ausfertigung des von ihm beurkundeten Erbscheinantrags der Beteiligten zu 1) und zu 2) ein. Dieser Erbscheinantrag enthielt auch die Erbausschlagungserklärung des Beteiligten zu 3). Außerdem reichte er die Testamentsurkunde vom 03.12.2007 im Original ein und beantragte die Eröffnung dieses Testaments.

Am 10.02.2023 reichte der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) und zu 2) über das elektronische Gerichtspostfach beim Nachlassgericht den Erbscheinantrag der Beteiligten zu 1) und zu 2) ein, mit dem diese aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 03.12.2007 einen gemeinschaftlichen Erbschein zu je ½- Anteil beantragen. Darin machen sie geltend, die im Testament enthaltene Schlusserbeneinsetzung sei als Ersatzerbenregelung auszulegen.

Das Testament wurde am 02.03.2023 eröffnet.

Mit Verfügung vom selben Tage hat das Nachlassgericht – Rechtspflegerin – mitgeteilt, der Erteilung des Erbscheins stehe entgegen, dass die Ausschlagungsfrist des Testamentserben abgelaufen und die Ausschlagung infolgedessen unwirksam sei. Ferner hat das Nachlassgericht beanstandet, dass die eingereichte Ausschlagungserklärung nicht der Form des § 1945 BGB entspreche. Diese sei im Original bei Gericht einzureichen.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12.05.2023 hat das Nachlassgericht – Rechtspflegerin – den Erbscheinantrag der Beteiligten zu 1) und zu 2) kostenpflichtig zurückgewiesen mit der Begründung, der Beteiligte zu 3) habe keine wirksame Ausschlagungserklärung abgegeben und sei Erbe geworden. Die elektronische Übermittlung der Ausschlagungserklärung genüge nicht der Form des § 129 BGB und damit auch nicht den Anforderungen des § 1945 BGB. Dem Nachlassgericht liege kein Original der Ausschlagungserklärung vor. Im Übrigen sei die Ausschlagungsfrist des § 1945 BGB abgelaufen. Diese beginne bei testamentarischer Erbfolge zwar regelmäßig nach Bekanntmachung des Testaments durch das Nachlassgericht. Vorliegend sei das Testament ohne Angabe von Gründen jedoch erst fast zwei Jahre nach dem Tod der Erblasserin eingereicht worden. Da es durch beide Ehegatten errichtet worden sei, sei von der Kenntnis des Beteiligten zu 3) auszugehen. Auch ohne Kenntnis eines Testamentes würden selbst juristische Laien in der Regel davon ausgehen, gesetzlicher Alleinerbe oder zumindest Miterbe nach dem verstorbenen Ehegatten zu sein. Deshalb sei hier davon auszugehen, dass der Beteiligte zu 3) die Kenntnis seiner Erbenstellung, sei es aufgrund gesetzlicher oder gewillkürter Erbfolge, bereits mit dem Tod der Erblasserin gehabt habe.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und zu 2. Sie meinen, dass ein Notar nicht verpflichtet sei, eine Urkunde – ausgenommen eine letztwillige Verfügung – im Original dem Gericht vorzulegen. Die Ausfertigung ersetze das Original im Rechtsverkehr.

Die Ausschlagungsfrist für den Beteiligten zu 3) habe erst zu laufen begonnen, als dieser die eröffnete Verfügung vom Nachlassgericht erhalten habe. Das Amtsgericht sei im Übrigen nicht befugt, Mutmaßungen darüber anzustellen, ob ein Ehegatte wisse, welche Testamente es gebe oder gegeben habe. Erst als klar gewesen sei, dass es nur die eine eröffnete letztwillige Verfügung gab, habe der Beteiligte zu 3) sinnvollerweise die Erbschaft ausschlagen können.

Entscheidungsgründe des OLG Düsseldorf

Das Nachlassgericht hat zu Unrecht angenommen, die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen lägen nicht vor. Denn die Beteiligten zu 1) und zu 2) sind je zur Hälfte Erbinnen der Erblasserin geworden, nachdem der Beteiligte zu 3) die Erbschaft wirksam ausgeschlagen hat.

Die Erbfolge nach der Erblasserin richtet sich allein nach dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute vom 03.12.2007. Der darin als Alleinerbe eingesetzte Beteiligte zu 3) hat die Erbschaft wirksam ausgeschlagen mit der Folge, dass der Anfall der Erbschaft an ihn als nicht erfolgt gilt (§ 1953 Abs. 1 BGB).

Gemäß § 1945 Abs. 1 BGB erfolgt die Ausschlagung durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht. Dabei ist die Erklärung zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder in öffentlich beglaubigter Form abzugeben. Gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB setzt dies im Falle der Errichtung in Schriftform voraus, dass die Erklärung schriftlich abgefasst und die Unterschrift des Erklärenden von einem Notar beglaubigt ist. Gemäß § 129 Abs. 3 BGB wird die öffentliche Beglaubigung durch die notarielle Beurkundung ersetzt.

Vorliegend ist die Ausschlagungserklärung innerhalb des Erbscheinantrags der Beteiligten zu 1) und 2) am 23.01.2023 notariell beurkundet worden. Unter Ziffer 7 der Urkunde heißt es: "Der Erschienene… schlägt hiermit die Erbschaft aus." Dies genügt den Anforderungen an die Beurkundung einer Willenserklärung.

Die am 01.02.2023 erfolgte Einreichung der ersten Ausfertigung des Erbscheinantrags, der die Ausschlagungserklärung enthält, genügt den Anforderungen des § 1945 Abs. 1 BGB. Denn gemäß § 47 des Beurkundungsgesetzes vertritt die Ausfertigung der Niederschrift die Urschrift im Rechtsverkehr. Dies gilt auch hinsichtlich der Abgabe der Ausschlagungserklärung.

Der Beteiligte zu 3) hat die Ausschlagung auch innerhalb der sechswöchigen Ausschlagungsfrist erklärt (§ 1944 Abs. 1 BGB). Nach dieser Vorschrift beginnt die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft grundsätzlich mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und dem Grund der Berufung Kenntnis erlangt. § 1944 Abs. 2 Satz 2 BGB sieht vor, dass die Frist bei gewillkürter Erbfolge nicht vor Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen durch das Nachlassgericht beginnt.

Diese gesetzliche Regelung ist eindeutig und entgegen der Auffassung der Rechtspflegerin nicht nur regelmäßig, sondern immer anwendbar. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit kann sie nicht aus Billigkeitsgründen, wie hier aufgrund einer als sicher angenommenen früheren Kenntnis des Erben von dem Testament, ausgehebelt werden. Voraussetzung für den Fristbeginn ist daher bei gewillkürter Erbfolge stets deren amtliche Verlautbarung, was die Kenntniserlangung des Erben von der Eröffnung der Verfügung voraussetzt.

Daher konnte die Ausschlagungsfrist hier nicht vor dem Zugang des Schreibens des Nachlassgerichts über die Eröffnung des gemeinschaftlichen Testaments vom 02.03.2023 an den Beteiligten zu 3) zu laufen beginnen. Etwas anderes gilt entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts auch dann nicht, wenn der Beteiligte zu 3) ein zu seinen Gunsten bestehendes gesetzliches Erbrecht angenommen hätte. Auch dann hätte die Ausschlagungsfrist nicht früher zu laufen begonnen, weil sich die Erbfolge vorliegend allein nach dem gemeinschaftlichen Testament vom 03.12.2007 richtet.

Die am 01.02.2023 beim Nachlassgericht eingegangene Ausschlagungserklärung des Beteiligten zu 3) erfolgte demnach bereits vor Beginn der Frist. Dies war gemäß § 1946 BGB möglich, da sie nach Eintritt des Erbfalls am 05.03.2021 und zugleich mit der Ablieferung des Testaments erfolgt ist.

Der Wegfall des Beteiligten zu 3) als Alleinerbe hat zur Folge, dass die in dem gemeinschaftlichen Testament als Schlusserben eingesetzten Beteiligten zu 1) und zu 2) Erbinnen zu je 1/2 nach der Erblasserin geworden sind.

Die Ausschlagung eines gewillkürten Erben führt in erster Linie zum Anfall der Erbschaft an den eingesetzten Ersatzerben (§ 2096 BGB). Schlägt der eingesetzte Alleinerbe, für den kein Ersatzerbe berufen ist, die Erbschaft im Ganzen aus, tritt der gesetzliche Erbe an seine Stelle.

Vorliegend haben die Eheleute bei der Errichtung des Testaments den Wegfall des länger lebenden Ehegatten durch Ausschlagung nicht bedacht. Eine ausdrückliche Ersatzerbeneinsetzung enthält das Testament nicht.

Welche Rechtsfolge in einem solchen Fall gilt, ist in Rechtsprechung und Literatur streitig.

Teilweise wird wegen der Zielrichtung des Berliner Testaments, den überlebenden Ehegatten zu begünstigen, die Ausschlagung der testamentarischen Erbfolge und die Annahme des gesetzlichen Erbes als wirksam angesehen.

Nach anderer Ansicht wird eine stillschweigende Ersatzerbeneinsetzung der Schlusserben angenommen. Bei einer bindenden Schlusserbeneinsetzung führe im Regelfall die ergänzende Auslegung der letztwilligen Verfügung dazu, dass mit der Schlusserbeneinsetzung zugleich die Einsetzung der Kinder als Ersatzerben für den ersten Erbfall gewollt ist. Dem ist zuzustimmen.

Setzen Eltern in einem gemeinschaftlichen Testament ihre Kinder zu Schlusserben ein, so sollen die Kinder nach dem Willen der Eltern nach dem Tod des Längstlebenden das dann noch vorhandene Vermögen, auch soweit es ursprünglich Vermögen des Erstversterbenden war, bekommen. Dem mutmaßlichen Willen der Ehegatten bei Testamentserrichtung entspricht es deshalb in der Regel, dass nach der von ihnen gewollten Nachlassplanung das Vermögen des Erstversterbenden auf jeden Fall an die Schlusserben fällt, auch im Falle einer Ausschlagung des länger Lebenden. Das wäre nicht gewährleistet, wenn der länger lebende Ehegatte sich über die Ausschlagung von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments lösen könnte und gemeinsam mit den Kindern gesetzlicher Erbe würde. Für eine stillschweigende Ersatzerbeneinsetzung der Schlusserben spricht auch die Auslegungsregel des § 2097 BGB. Anhaltspunkte für einen anders lautenden Willen der Eheleute bei Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments sind vorliegend nicht ersichtlich.

Auch lässt die Erbausschlagungserklärung des Beteiligten zu 3) innerhalb des Erbscheinantrags der Beteiligten zu 1) und zu 2) darauf schließen, dass dieser diese Rechtsfolge – die Erbenstellung beider Kinder – als selbstverständlich angenommen hat, was auf einen entsprechenden Willen bei Testamentserrichtung schließen lässt. Dies gilt vorliegend umso mehr, als die gesetzliche Erbfolge dazu führen würde, dass er zusammen mit der leiblichen Tochter der Erblasserin, der Beteiligten zu 1), gesetzlicher Erbe würde, seine eigene leibliche Tochter, die Beteiligte zu 2), in diesem Fall jedoch nicht erben würde. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Eheleute bei der Errichtung des Testaments eine solche Situation vorgestellt und gewollt haben, die zu einer Ungleichbehandlung der beiden Kinder führen würde, bestehen nicht.

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