Leitsatz:
- Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen in einem Ehegattentestament durch Vernichtung der Urkunde setzt voraus, dass beide Ehegatten mit Testier- und Widerrufswillen an der Vernichtung der Urkunde mitgewirkt haben.
- An den diesbezüglichen Nachweis sind hohe Anforderungen zu stellen. Er setzt insbesondere voraus, dass die Möglichkeit, dass ein Ehegatte die Urkunde ohne Kenntnis und Mitwirkung des anderen vernichtet hat, ausgeschlossen werden kann.
Sachverhalt
Die Ehegatten sind im Abstand von vier Tagen verstorben. Die Ehe war kinderlos. Aus der ersten Ehe des Ehemannes sind zwei Töchter hervorgegangen. Es liegt ein Testament der Ehegatten vom 20.03.2015 in Fotokopie vor. Darin heißt es auszugsweise:
"Wir setzen uns gegenseitig zu unseren alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Schlusserben des Letztversterbenden sind die zwei Töchter des Ehemannes zu je 1/4 und...., der Neffe der Ehefrau, zur Hälfte.
Soweit es gesetzlich vorgeschrieben ist, sollen alle unsere gemeinsamen Verfügungen wechselseitig sein, damit sind sie nach dem Tode des zuerst Versterbenden für den anderen verbindlich.
(Eigenhändige Unterschriften beider Ehegatten)"
Bei dem Neffen der Ehefrau handelt es sich um den Beschwerdeführer. Dieser beantragte im Verfahren nach dem Tod der Ehefrau mit notarieller Urkunde vom 17.01.2017 einen Erbschein, der den nachverstorbenen Ehemann als Alleinerben aufgrund Testaments ausweisen sollte.
Das Nachlassgericht hat diesen Antrag zurückgewiesen. Es ist der Ansicht, es sei die gesetzliche Erbfolge eingetreten. Das Testament vom 20.03.2015 sei in Widerrufsabsicht vernichtet worden und deswegen für die Erbfolge nicht maßgeblich.
Dagegen richtet sich die Beschwerde.
Entscheidungsgründe des OLG München
Die zulässige Beschwerde ist erfolgreich. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die Ehegatten das Testament aus dem Jahre 2015 in Widerrufsabsicht vernichtet haben. Folglich richtet sich die Rechtslage nach diesem Testament.
Allerdings ist das Nachlassgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass das Testament wirksam errichtet wurde. Dass es lediglich in Fotokopie vorliegt, hindert den Nachweis der formgerechten Errichtung grundsätzlich nicht. Zwar ist zum Nachweis eines testamentarischen Erbrechts grundsätzlich die Urschrift der Urkunde vorzulegen, auf die das Erbrecht gestützt wird (§ 352 Abs. 3 FamFG). Ist diese Urkunde jedoch nicht auffindbar, können die formgerechte Errichtung und der Inhalt mit allen zulässigen Beweismitteln bewiesen werden, wobei an den Nachweis strenge Anforderungen zu stellen sind.
Vorliegend hat der Senat keinen Zweifel, dass das Testament vom 20.03.2015 tatsächlich von den Ehegatten formgerecht errichtet wurde. Auch die Verfahrensbeteiligten erheben hiergegen keine Einwände.
Der Senat ist jedoch nicht davon überzeugt, dass das Testament von den Ehegatten in der Absicht, es zu widerrufen, vernichtet wurde.
Zutreffend ist das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass derjenige, der aus dem Widerruf eines Testaments Rechte herleiten will, diesen Widerruf zu beweisen hat. Dieselben Grundsätze gelten dann, wenn – wie vorliegend – die Vernichtung der Urkunde selbst nicht feststeht, diese vielmehr lediglich unauffindbar ist. Im Falle der Unauffindbarkeit eines Testaments besteht insbesondere keine Vermutung dafür, dass es vom Erblasser vernichtet worden und deshalb gemäß § 2255 BGB als widerrufen anzusehen ist. Die bloße Tatsache der Unauffindbarkeit der Urkunde besagt für sich allein noch nichts; sie begründet insbesondere keine tatsächliche Vermutung oder einen Erfahrungssatz, dass das Testament durch den Erblasser vernichtet worden ist.
Zwar kann auch ein gemeinschaftliches Testament von Ehegatten grundsätzlich durch Vernichtung aufgehoben werden. Aus § 2271 Abs. 1 Satz 2 BGB folgt aber, dass die einseitige Aufhebung wechselbezüglicher Verfügungen auch in der Form des § 2255 BGB nicht möglich ist.
Beweismittel, mit denen sich der Widerruf direkt beweisen ließe, insbesondere etwa die zerstörte Originalurkunde, sind weder im erstinstanzlichen Verfahren noch durch die Ermittlungen des Senats zutage getreten, sodass Schlüsse letztlich nur anhand von Indizien gezogen werden können. Soweit das Nachlassgericht im Wesentlichen darauf abgestellt hat, dass andere Unterlagen der Eheleute geordnet vorhanden waren und dass diese gegenüber Dritten erklärt hätten, an der Schlusserbeneinsetzung zugunsten des Beschwerdeführers nicht festhalten zu wollen, sondern eine andere Verfügung errichten zu wollen, reicht dies nach Ansicht des Senats nicht aus, um mit der nötigen Sicherheit einen Widerruf der Verfügung annehmen zu können.
Denn ein Widerruf ohne gleichzeitige Neuerrichtung einer letztwilligen Verfügung erscheint wenig plausibel. Er hätte nämlich zur Folge, dass nach dem Tod des Erstversterbenden gesetzliche Erbfolge eintreten würde, was die Ehegatten nach den vom Nachlassgericht durchgeführten Ermittlungen nicht gewollt hatten; außerdem hätte ein Widerruf ohne gleichzeitige Neuerrichtung eines gemeinsamen Testaments bei den Ehegatten auch noch zu unterschiedlichen Erbquoten geführt:
Wäre die Ehefrau zuerst verstorben, wäre der überlebende Ehemann Erbe zu 3/4 geworden, da seitens der Ehefrau nur noch Abkömmlinge der Eltern, mithin nur Erben der zweiten Ordnung vorhanden waren. Wäre umgekehrt der Ehemann zuerst verstorben, wäre die überlebende Ehefrau nur Erbin zu 1/2 geworden, da der Ehemann Kinder, also Erben der 1. Ordnung, hinterlassen.
Da die Ehegatten naturgemäß nicht wissen konnten, wer von ihnen zuerst verstirbt, erscheint es nicht naheliegend, dass sie den Eintritt der gesetzlichen Erbfolge gewollt hätten, was aber die Folge der Vernichtung des gemeinschaftlichen Testaments gewesen wäre.
Hinzu kommt folgende Überlegung: Wäre es den Eheleuten im Wesentlichen darauf angekommen, dass der Beschwerdeführer nicht mehr Schlusserbe wird, hätte dessen Streichung aus dem Testament jedenfalls deutlich näher gelegen.
Bei einem gemeinschaftlichen Testament, das wechselbezügliche Verfügungen enthält, muss sich im Übrigen zusätzlich feststellen lassen, dass ein möglicher Widerruf durch Vernichtung der Urkunde von beiden Ehegatten gewollt gewesen und mit Testierwillen umgesetzt worden ist. Die angefochtene Entscheidung des Nachlassgerichts lässt außer acht, dass auch ein Ehegatte allein die Vernichtung herbeigeführt haben könnte. Das aber wäre, da der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen hier im Raum steht, indes nicht ausreichend. Folge des Vorliegens wechselbezüglicher Verfügungen ist, dass ein Widerruf in Form des § 2255 Satz 1 BGB voraussetzt, dass die Ehegatten die Verfügung gemeinsam mit Testierwillen in Widerrufsabsicht vernichtet haben. Selbst eine spätere "Genehmigung" einer einseitigen Zerstörung der Urkunde durch einen der Ehegatten durch den anderen Ehegatten wäre daher nicht möglich.
Davon, dass die Ehegatten die Verfügung gemeinsam mit Testierwillen in Widerrufsabsicht vernichtet haben, vermag sich der Senat nicht zu überzeugen. Daher ist dieses Testament für die Erbrechtslage maßgeblich. Nach dem Vorversterben der Ehefrau ist somit der überlebende Ehemann Alleinerbe geworden. Nachdem er seinerseits wenige Tage später verstorben ist, ist der Beschwerdeführer – Neffe der Ehefrau – hälftiger Schlusserbe geworden.