Newsletter 01/2021
Arbeitsrecht
Die Corona-Krise bestimmt nach wie vor - insbesondere aufgrund der neuen Mutationen - den Alltag und wirft nahezu täglich neue arbeitsrechtliche Fragestellungen auf, die aufgrund fehlender obergerichtlicher Rechtsprechung noch nicht sicher beantwortet werden können. Aufgrund der ersten arbeitsgerichtlichen Entscheidungen, die teilweise auch in einstweiligen Rechtsschutzverfahren erstritten wurden, lassen sich erste Tendenzen erkennen, die bei der Beantwortung von Fragestellungen hilfreich sein können.
Aussperrung wegen Verweigerung eines Corona-Schnell-Tests?
Das Arbeitsgericht Offenbach hatte sich mit einem Fall zu beschäftigen, in dem einem Mitarbeiter kein Zugang zum Werksgelände gewährt wurde, weil er sich geweigert hatte, an einem PCR-Test teilzunehmen. Der Arbeitnehmer klagte auf Beschäftigung an seinem Arbeitsplatz ohne Durchführung des angeordneten Tests. Die Anweisung des Arbeitgebers verletze ihn seiner Ansicht nach in seinem Recht auf Selbstbestimmung. Dies gelte insbesondere deshalb, weil der PCR-Test einen Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit darstelle, der unverhältnismäßig sei.
Das Gericht wies den Antrag des Arbeitnehmers am 04.02.2021 (Az. 4 Ga 1/21) zurück, weil er die Eilbedürftigkeit nicht dargelegt hatte. Die Entscheidung im Hauptsacheverfahren steht noch aus. Fraglich wird sein, ob der Arbeitgeber zum Schutz der Gesundheit seiner Beschäftigten und zum effektiven Infektionsschutz die angeordneten Maßnahmen treffen durfte. Dies wird sicherlich nur dann der Fall sein, wenn die Interessen des Arbeitgebers...
WeiterlesenIst die Anweisung eines Arbeitgebers an einen Arbeitnehmer, ein Gesichtsvisier oder eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, trotz der Befreiung des Arbeitnehmers aufgrund eines ärztlichen Attestes rechtmäßig?
Das Arbeitsgericht Siegburg hatte in seinem Urteil vom 16.12.2020 (Az. 4 Ga 18/20) darüber zu entscheiden, ob ein Arbeitnehmer aufgrund eines vorgelegten Attestes, das ihn aufgrund einer Erkrankung vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes befreite, verpflichtet war, der Anweisung seines Arbeitgebers zu folgen in Gemeinschaftsräumen, bei Betreten der Flure oder des WC sowie der Teeküche und des Pausen- und Druckerraums ein Gesichtsvisier zu tragen.
Das Arbeitsgericht stellte fest, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich einen Beschäftigungsanspruch hat, der nur bei Vorliegen entsprechender Besonderheiten im Einzelfall dann zurücktreten muss, wenn dem Beschäftigungsanspruch überwiegende, schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen und der Arbeitnehmer demgegenüber kein besonders vorrangig berechtigtes Interesse an der tatsächlichen Beschäftigung geltend machen kann. Solche überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers hatte das Arbeitsgericht Siegburg allerdings darin...
WeiterlesenMuss ein Arbeitnehmer sich auf Anweisung des Arbeitgebers impfen lassen?
Eine gesetzliche Verpflichtung zum Impfen besteht derzeit nicht. Die Impfung ist freiwillig. Eine gesetzliche Möglichkeit, die Bevölkerung zum Impfen zu verpflichten, ist allerdings im Infektionsschutzgesetz vorgesehen. Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber bisher (noch) keinen Gebrauch gemacht.
Die arbeitgeberseitige Fürsorgepflicht könnte allerdings dazu führen, dass Arbeitgeber die Impfung (das Vorhandensein von Impfstoff unterstellt) als gebotene Maßnahme für die Ausübung der Tätigkeit ihrer Arbeitnehmer anordnen. Insoweit müsste eine Abwägung der jeweiligen Interessen erfolgen. Ein Zurücktreten des Rechtes des Arbeitnehmers auf körperliche Unversehrtheit und seines Persönlichkeitsrechtes würde aber voraussetzen, dass die Interessen des Arbeitgebers überwiegend sind und keine milderen Mittel zur Verfügung stehen.
Maßgeblich wird insoweit insbesondere sein, wie weit eine Immunisierung der Bevölkerung durch die derzeitige Impfkampagne eintritt und wie dem Infektionsschutz...
WeiterlesenBesteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Home-Office oder ein Einzelbüro?
Das Arbeitsgericht Augsburg hatte über die Klage eines Arbeitnehmers zu entscheiden, der aufgrund eines ärztlichen Attestes einen Anspruch auf Erbringung seiner Tätigkeit an seinen Wohnsitz im Home-Office geltend machte. Soweit dies aus organisatorischen Gründen nicht möglich sein sollte, begehrte der Arbeitnehmer, ihm zur Verrichtung seiner Tätigkeiten ein Einzelbüro zur Verfügung zu stellen.
Das Arbeitsgericht Augsburg (Urteil vom 07.05.2020, Az. 3 GA 9/20) lehnte den Anspruch des Arbeitnehmers ab. Ein solcher Anspruch ergebe sich weder aus dem Arbeitsvertrag, noch aus dem Gesetz. Es obliege allein dem Arbeitgeber, wie er seinen Verpflichtungen aus § 618 BGB gerecht werde und sie ermessensgerecht durch entsprechende Ausübung seines Leistungsbestimmungsrechtes umsetze, um das Ziel zu erreichen, den hausärztlichen Empfehlungen des Arbeitnehmers zu entsprechen.
Auch ein Anspruch auf ein Einzelbüro bestehe aus den dargelegten Gründen nicht.
WeiterlesenFristlose Kündigung eines Arbeitnehmers, der eine Strafanzeige erhoben hatte, in der er auf die Verletzung von Quarantänebestimmungen durch den Arbeitgeber hinwies
Das Arbeitsgericht Dessau-Roßlau musste die Frage klären, ob das Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitnehmer, der den Geschäftsführer und einen Meister wegen eines Verstoßes gegen die Quarantänevorschriften bei der Polizei angezeigt hatte, fristlos gekündigt werden konnte.
Das Arbeitsgericht war der Auffassung, dass die Strafanzeige eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber einen wichtigen Grund für eine Kündigung darstellen könne. Entscheidend sei, aus welcher Motivation die Anzeige erfolgte und ob die Anzeige letztlich als eine unverhältnismäßige Reaktion des Arbeitnehmers auf das Verhalten des Arbeitgebers angesehen werden könne. Als Indizien für die Unverhältnismäßigkeit können sowohl die fehlende Berechtigung der Anzeige, die Motivation des Anzeigenden oder ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände sprechen. Ist Anlass der Anzeige ein innerbetrieblicher Missstand, muss der Arbeitnehmer aufgrund seiner Pflicht zur Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB...
WeiterlesenFristlose Änderungskündigung zur Einführung von Kurzarbeit?
Eine Arbeitnehmerin, die von ihrem Arbeitgeber aufgrund des Lockdowns um Unterzeichnung einer Vereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit gebeten wurde, lehnte dies ab, da für sie die Kurzarbeit nicht nachvollziehbar war. Nachdem die Agentur für Arbeit dem Arbeitgeber mitteilte, dass aufgrund vorgetragener und glaubhaft gemachter Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld erfüllt sind, ordnete der Arbeitgeber Kurzarbeit an.
Da die Arbeitnehmerin mit der Einführung von Kurzarbeit nicht einverstanden war, sprach der Arbeitgeber am 22.04.2020 eine fristlose, hilfsweise ordentliche Änderungskündigung aus und bot an, das Arbeitsverhältnis mit der Berechtigung des Arbeitgebers fortzusetzen, Kurzarbeit anordnen zu dürfen. Gegen diese Änderungskündigung hatte die Arbeitnehmerin Klage erhoben, die von dem Arbeitsgericht Stuttgart überwiegend abgewiesen wurde.
Das Arbeitsgericht war der Auffassung, dass die...
WeiterlesenErbrecht
Zum Wegfall der Befreiung von der Erbschaftsteuer bei Veräußerung des Familienheims
Orientierungssatz
- Die Veräußerung des Familienheims führt auch dann zum Wegfall der Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 Erbschaftsteuergesetz, wenn der Auszug auf ärztlichen Rat aufgrund einer Depressionserkrankung erfolgt.
- Ein "zwingender Grund" i. S. d. Gesetzes ist nur dann gegeben, wenn das Führen eines Haushalts schlechthin (etwa aufgrund von Pflegebedürftigkeit) unmöglich ist.
- Eine solche restriktive Gesetzesauslegung der Rückausnahme zum Steuerbefreiungstatbestand ist auch verfassungsrechtlich geboten, da die Steuerbefreiung für Familienheime Grundeigentümer gegenüber Inhabern anderer Vermögenswerte bevorzugt.
Sachverhalt
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) bleibt steuerfrei u. a. der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gelegenen bebauten Grundstück durch den überlebenden Ehegatten oder Lebenspartner, soweit der Erblasser...
WeiterlesenPflichtteilsrecht: Bezifferung des Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruchs bei ungewisser Forderung gegen den Nachlass
Leitsatz
- Kann der Erbe den – dem Grunde nach anerkannten – Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch eines Berechtigten der Höhe nach noch nicht abschließend beziffern, weil gegen den Nachlass eine – vom Erben bestrittene – Forderung eines Dritten geltend gemacht wird, muss er trotzdem zunächst den unter Außerachtlassung der ungewissen Verbindlichkeit berechneten Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch an den Berechtigten ausgleichen.
- Das Risiko, dass sich ein späterer Rückforderungsanspruch in Höhe eines überzahlten Betrages gegen den Pflichtteilsberechtigten nicht mehr realisieren lässt, trägt der Erbe.
Sachverhalt
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach ihrer im Jahre 2017 verstorbenen Mutter in Höhe von ursprünglich 7.148,00 € geltend gemacht. Die Beklagte (Erbin der Mutter) hat das grundsätzliche Bestehen derartiger Ansprüche nicht in Abrede gestellt, hat aber dennoch Klageabweisung beantragt, da...
WeiterlesenZur Auslegung eines privatschriftlichen Testaments, mit dem alle Verwandten von der Erbfolge ausgeschlossen wurden.
Sachverhalt
Die Erblasserin ist ledig und kinderlos verstorben. Ihre Eltern sind vorverstorben. Der Beteiligte zu 1) ist der Bruder der Erblasserin. Weitere Geschwister sind nicht vorhanden.
Die Erblasserin hinterließ folgendes mit der Zeitangabe Februar 2007 versehenes handschriftliches Testament:
"Für nach meinem Tode.
Ausgeschlossen sind alle Verwandten und angeheirateten Verwandten.
….
Die Familie war mitleidlos gegenüber unserem Vertreibungsschicksal. "Man muss doch mal vergessen können…" Eine Aussage die wir von Einheimischen, die ihre Heimat behalten haben, hören mussten, die uns schwer verletzt hat! Bis heute wissen sie nicht wie wirklich grausam Heimweh nach daheim und Sehnsucht nach den Eltern und Großeltern ausbrennen! Unser Leben ist eine offene Wunde sagte unsere leidgeprüfte tapfergeduldige Mutter!
Auch ausgeschlossen ist Mutters Vetter… München, der schwerstverwundet beinamputiert den Krieg überlebt hat, aber von Vertriebenen- und Flüchtlingsschicksalen nichts...
WeiterlesenInsolvenz- und Restrukturierungsrecht
Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens
Das bereits im letzten Newsletter vorgestellte Gesetz wurde am 22.12.2020 beschlossen und trat hinsichtlich der wesentlichen Regelungen, insbesondere hinsichtlich der Verkürzung der Restschuldbefreiung,rückwirkend zum 01.10.2020 in Kraft und erfasst damit Insolvenzanträge ab diesem Zeitpunkt.
Gemäß der verabschiedeten Neuregelung des § 287 Abs. 2 InsO erfasst die Abtretungserklärung nunmehr lediglich noch einen Zeitraum von 3 Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. In Art. 103k EGInsO wurde eine Überleitungsvorschrift normiert, nach der auf Insolvenzverfahren, die vor dem 01.10.2020 beantragt wurden, die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften weiter anzuwenden sind. Daneben wurde für Insolvenzverfahren, die im Zeitraum vom 17.12.2019 bis einschließlich 30.09.2020 beantragt wurden, in Art. 103k Abs. 2 EGInsO eine Regelung erlassen, mit der die Verkürzung der Abtretungsfrist auch für diese Verfahren entsprechend der dort enthaltenen Tabelle geregelt wurde. Eine...
WeiterlesenGesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG)
Auch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts wurde am 22.12.2020 beschlossen und tritt zum 01.01.2021 in Kraft. Das Gesetz beinhaltet u.a. folgende Neuerungen:
2.1) Art. 1: Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsahmen für Unternehmen (StaRUG):
Durch dieses Gesetz wird ein außerinsolvenzliches Sanierungsverfahren entsprechend europarechtlicher Vorgaben geschaffen, das insbesondere gut beratenen Schuldnern die Möglichkeit bietet, einen Restrukturierungsplan außerhalb eines formellen Insolvenzverfahrens umzusetzen. Es sind insbesondere Regelungen zu einem Moratorium vorgesehen, mit denen beispielsweise Vollstreckungs- und Verwertungssperren angeordnet werden können. Voraussetzung für die Anwendung der Regelungen des Restrukturierungsrahmens ist, dass der Schuldner lediglich drohend zahlungsunfähig ist. In diesem Fall können im Rahmen der Abstimmung über den Restrukturierungsrahmenauch gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidungen getroffen werden...
WeiterlesenAussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 1. Januar 2021 – 30. April 2021 ?
Die entsprechende Regelung ist in § 1 Abs. 3 COVInsAGenthalten und an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Diese dort normierten Voraussetzungen haben zur Folge, dass die Insolvenzantragspflicht derzeit generell in Kraft istund lediglich unter den dort genannten Bedingungen für bestimmte zahlungsunfähige und überschuldete Unternehmen bis zum 30.04.2021 ausgesetzt ist. Vorausgesetzt wird, dass die Insolvenzreife Folge der Pandemie ist, die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit nicht aussichtslos sein darf und staatliche Hilfen im Zeitraum vom 01.11.2020 bis zum 28.02.2021 erfolgversprechend beantragt werden.
Soweit in diesem Zeitraum aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Anträge gestellt werden konnten, soll die Antragspflicht auch für solche Unternehmen ausgesetzt bleiben, welche nach den Bedingungen des jeweiligen Programms in den Kreis der Antragsberechtigten fallen. Ausgenommen bleiben Fälle, in denen offensichtlich keine Aussicht auf die Gewährung der Hilfe besteht oder in...
WeiterlesenVersicherungsrecht
Betriebsschließungsversicherung und Corona – Aktuelle Urteile
Kaum ein Thema wird im Versicherungsrecht derzeit so stark und unterschiedlich diskutiert wie die Frage, ob bei einer coronabedingten Betriebsschließung Ansprüche gegen die Betriebsschließungsversicherung bestehen.
Eine einheitliche Rechtsprechung ist auch im Hinblick auf unterschiedliche Vertragsbedingungen nicht erkennbar.
Ansprüche des Versicherungsnehmers abgelehnt hatte das OLG Stuttgart, Urteil vom 15.02.2021, Az. 7 U 351/20.
In den Versicherungsbedingungen war COVID-19 als Krankheit oder der Sars-Erreger wie in vielen anderen Bedingungswerken nicht aufgeführt. Nach dem OLG kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht annehmen, dass COVID-19 bzw. der Sars-Virus dem von der Beklagten versprochenen Versicherungsschutz im Fall einer Betriebsschließung unterfallen. Aus den Bedingungen ergebe sich, dass der Versicherer nur für ganz bestimmte, also namentlich aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger Versicherungsschutz gewähren will. "Namentlich" kann nicht als...
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