32 / 2022
Benachteiligungsvorsatz und Sanierungskonzept
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in 2021 und 2021 seine Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) einer teilweisen Neuausrichtung unterzogen. Mit dieser Neuausrichtung hat er die Anforderungen an den Nachweis eines Benachteiligungsvorsatzes dahingehend erhöht, dass im Fall einer kongruenten Deckung allein aus einer drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht (mehr) gefolgert werden kann, dass der Schuldner mit Benachteiligungsvorsatz handelte (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 - IX ZR 72/20, juris).
Im Jahr 2022 befasste der BGH sich mit der Indizwirkung von Sanierungsversuchen des Schuldners. Im Ausgangspunkt spricht ein Sanierungskonzept dann gegen einen Benachteiligungsvorsatz, wenn es – aus der ex ante-Sicht – objektiv erfolgversprechend war. Andernfalls kommt es für den Benachteiligungsvorsatz darauf an, ob der Schuldner dies erkannt oder billigend in Kauf genommen hat. Dabei darf der Schuldner auf die Richtigkeit der Einschätzung eines Beraters vertrauen, sofern nicht hinreichende Anhaltspunkte bestehen, dass die Beratung den Anforderungen an ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept nicht genügte.
In der ersten Entscheidung führt der BGH weiter aus, unter welchen Umständen ein Benachteiligungsvorsatz bei Zahlungen, die vor Beginn der Umsetzung des Sanierungskonzepts an einen Sanierungsberater geleistet werden, fehlt. Dies ist der Fall, wenn der Sanierungsversuch nicht von vorneherein aussichtslos ist und der Schuldner davon ausgeht, dass die Zahlung der Vergütung an den Sanierungsberater für die Prüfung der Sanierungsfähigkeit oder für die Sanierung selbst erforderlich ist (BGH, Urteil v. 03.03.2022 – IX ZR 78/20 –).
In der zweiten Entscheidung – hier ging es um Zahlungen an den Wirtschaftsprüfer – führte der BGH aus, dass der Gläubiger im Fall eines Sanierungskonzepts grds. vom Fehlen eines Benachteiligungsvorsatzes ausgehen darf. Dabei darf sich der Gläubiger auf schlüssige Angaben des Schuldners oder seines beauftragten Sanierungsberaters verlassen. Erst wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Gläubiger getäuscht werden soll, das Sanierungskonzept keine Aussicht auf Erfolg hat oder gescheitert ist oder der Schuldner die Sanierungsbemühungen eingestellt hat, entfällt der Vertrauensschutz. Verzögerungen bei der Umsetzung des Sanierungskonzepts allein genügen für den Wegfall des Vertrauensschutzes nicht (BGH, Urteil v. 23.06.2022 – IX ZR 75/21 –).
Die Neuausrichtung der Rechtsprechung des BGH dürfte zu einer Verbesserung der Verteidigungsmöglichkeiten gegen eine Vorsatzanfechtung führen. Allerdings wird es – wie immer – auf die Umstände des Einzelfalles ankommen.
Bei Rückfragen:RA Patrick Steinhausen, LL.M. (steinhausen@heimes-mueller.de), RA Dr. Michael Bach (dr.bach@heimes-mueller.de)
Folgen und Maßnahmen im Falle der Feststellung der Notfallstufe
Über den Schutz von Wirtschaft und Industrie im Falle einer Gasmangellage hatten wir bereits im Weekly Law Report 28/2022 berichtet. Sollte es zu der noch immer befürchteten Einstellung der Gaslieferungen durch Russland kommen, droht die Feststellung der 3. Stufe, der sog. Notfallstufe, des Notfallplans Gas seitens des Bundeswirtschaftsministeriums. Dies könnte zur Folge haben, dass hoheitliche Maßnahmen zur Reduzierung bzw. Einstellung der Gasversorgung auch gegenüber Unternehmen ergriffen werden, um zugleich die Versorgung der sog. Geschützten Kunden (§ 53a EnWG) sicherstellen zu können. Geschützte Kunden sind neben Haushaltskunden auch kleinere Gewerbetreibende und grundlegende soziale Dienste, wie z.B. Krankenhäuser.
Die Einstellung bzw. Zuteilung des verbleibenden Gases zwischen den nicht Geschützten Kunden erfolgt durch die Bundesnetzagentur im Wege des Erlasses eines Verwaltungsaktes. Übt die Bundesnetzagentur im Rahmen des Erlasses ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß aus, stellt sich die Frage, ob die Entscheidung wegen fehlerhafter Ermessensausübung anfechtbar ist.
Da umgekehrt aber die Unternehmen im Falle der Abschaltung zugunsten der Geschützten Kunden Sonderopfer erbringen, verpflichtet § 11 EnSiG den Bund bei massiven Eingriffen in das Eigentum zur Zahlung von Entschädigungen. Bei Eingriffen, die unterhalb der Schwelle einer Enteignung liegen, ist in § 12 EnSiG ein Härteausgleich vorgesehen, d.h. eine Entschädigung in Geld zu zahlen, soweit die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen durch unabwendbare Schäden gefährdet oder vernichtet ist oder die Entschädigung zur Abwendung oder zum Ausgleich ähnlicher unbilliger Härten geboten ist. Dieser Rechtsanspruch der Betroffenen ist bei der Bundesnetzagentur nach der Verordnung über das Verfahren zur Festsetzung von Entschädigung und Härteausgleich nach dem Energiesicherungsgesetz (Energiesicherungsgesetzentschädigungsverordnung - EnSiGEntschV) geltend zu machen. Erfolgt keine gütliche Einigung können im Streitfall die Ansprüche vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden. Möglicherweise kommen bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit auch Amtshaftungsansprüche in Betracht.
In Anbetracht des bisher begrenzten Anwendungsbereichs dieser Regelungen wird sich zeigen, ob und in welchem Umfang die Entschädigungsansprüche mit Aussicht auf Erfolgt geltend gemacht werden können.
Bei Rückfragen:RA Dr. Michael Bach (dr.bach@heimes-mueller.de)